Was ist Psychoanalyse?

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Autorin:
Thomas Auchter und Laura Viviana Strauss: «Kleines Wörterbuch der Psychoanalyse» Göttingen
(Vandenhoeck & Rupprecht) 1999

Die Psychoanalyse verfügt über eine besondere eigene Untersuchungsmethode, eine differenzierte Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie (Metapsychologie), eine daraus abgeleitete umfassende Krankheitslehre und schließlich eine Behandlungsmethode, die in den verschiedenen Formen psychoanalytischer Psychotherapie ihre Anwendung findet.

Als Tiefenpsychologie interessiert sich die Psychoanalyse für das individuelle, immer auch gesellschaftlich geprägte Unbewußte im Menschen. Es bestimmt wesentlich die Wahrnehmung, die Interpretation und den Umgang des Individuums mit sich selbst und seiner Mitwelt.

Die Psychoanalyse fragt nach dem «Warum» und dem «Wozu» menschlichen Erlebens und Verhaltens. Dabei bleibt sie nicht, wie ihr bisweilen kritisch unterstellt wird, bei der Aufarbeitung der vor allem kindlichen unbewältigten Erlebnisse stehen. Sie untersucht ebenso deren bedeutsame Bezüge in den gesamten lebensgeschichtlichen und auch aktuellen Erfahrungen und ihre Auswirkungen auf die Zukunftsgestaltung. Sie sensibilisiert den Menschen dafür, in einer «unendlichen Analyse» das heißt, einem fortwährenden Fragen und Nachdenken, dem Sinn und der Bedeutung seines Handelns und Lebens forschend auf die Spur zu kommen.

Insofern ist die Psychoanalyse eine Form der unaufhörlichen Wahrheitssuche, wie Freud es formulierte. Heute sprechen wir eher von einem fortwährenden Bemühen um Erkenntnis und einem nicht endenden Fragen nach dem Sinngehalt von Erleben und Verhalten. Darin liegt die emanzipatorische Funktion der Psychoanalyse.

Indem sie sich bemüht, individuelle und kollektive Selbsttäuschungen, Täuschungen, Illusionen und Wahrnehmungsverzerrungen aufzudecken, hilft sie den Menschen, Berührung mit ihren Tiefen und Untiefen zu finden. Sie ist in diesem Sinne auch ruhestörend und unbequem. Sie muß deshalb immer mit Widerständen und Ablehnung rechnen. Sie sind jedoch zunächst einmal als individuelle oder kollektive Schutzreaktion anzusehen, da die psychoanalytische Untersuchung nicht darum herumkommt, das immer unvollkommene, provisorische und labile Gleichgewicht zu erschüttern, das jeder Mensch wie auch die Gesellschaft ständig herzustellen und zu bewahren bemüht ist.


Psychoanalytische Ausbildung SGPsa / IPA

Die Ausbildung zur Psychoanalytikerin und zum Psychoanalytiker wird von der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung («IPV» oder International Psychoanalytical Association, «IPA») und ihren konstituierenden Organisationen geregelt. In vielen Ländern können sich alle mit den nötigen Fähigkeiten und ausreichender Erfahrung zur Psychoanalytikerin und zum Psychoanalytiker ausbilden lassen, obwohl in einigen Ländern die praktische Tätigkeit als Psychoanalytikerin, als Psychoanalytiker den Ärztinnen und Ärzten, Psychologinnen und Psychologen und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern vorbehalten ist. Es gibt drei unterschiedliche Ausbildungsmodelle (das Modell nach Eitingon, das französische oder das Modell aus Uruguay), die alle die persönliche Analyse der Kandidatin und des Kandidaten, den Besuch theoretischer, technischer und klinischer Seminare und die Supervision der Arbeit der Ausbildungskandidatin und des Ausbildungskandidaten beinhalten. Die psychoanalytische Ausbildung dauert im Durchschnitt 5 – 10 Jahre und endet mit dem Erwerb der Mitgliedschaft.

Das Freud-Institut bietet den Ausbildungsteilnehmerinnen und Ausbildungsteilnehmern eine integrale psychoanalytische Ausbildung an, die sich aus einer intensiven Selbsterfahrung, einer regelmässigen Supervision und der Teilnahme an theoretisch-klinischen Seminaren zusammensetzt. Die theoretisch-klinische Ausbildung fusst einerseits auf der Teilnahme an Tagungen, Vorträgen und Seminaren des FIZ, der SGPsa und der IPA, andererseits auf dem Selbststudium der psychoanalytischen Literatur. In speziellen praxisbezogenen Seminaren wird der klinische Teil der Ausbildung vertieft.

Unterschiedliche Ausbildungsmodelle – unterschiedlicher Einfluss auf die Lehranalyse?
Von Eva Schmid-Gloor (Zürich)

In diesem Text soll es um die «Lehranalyse» oder «persönliche Analyse» der Analytiker in Ausbildung gehen. Diese zweifache Formulierung verweist auf eine wesentliche Unterscheidung, die Eitingon- und französisches Ausbildungsmodell für die Analyse von Analytikern in Ausbildung kennzeichnen. Das Eitingon-Modell verlangt, dass die Lehranalyse während der gesamten Dauer der Ausbildung und der Supervisionen dauert und versteht sie als zentralen Teil der psychoanalytischen Ausbildung. Ausschliesslich anerkannte Lehranalytiker dürfen die Lehranalysen ausführen. «Lehranalyse» – so wird die persönliche Analyse des Analytikers in Ausbildung nur im Eitingon-Modell genannt. Das französische Modell kennt den Ausdruck «Lehranalyse» nicht, sondern versteht die Analyse der Analytiker in Ausbildung «extraterritorial» zur theoretischen und klinischen Ausbildung als ganz persönliche Angelegenheit ausserhalb von institutioneller Einbindung. Kandidaten der SPP (Société psychanalytique de Paris) können sich von jedem SPP- oder IPA (International Psychoanalytic Association)-Mitglied analysieren lassen und Kandidaten der APF (Association Psychanalytique de France) können ihrerseits von einer APF-, SPP oder gar irgendeiner Couch kommen.

Beide Modelle beziehen sich auf die Intensität des Eintauchens, der Involviertheit («immersion») des Analytikers in seine persönliche Analyse, gehen aber von unterschiedlichen Prämissen aus. Im französischen Modell geht es um die Vorstellung eines ganz persönlichen Eintauchens ausserhalb aller Ausbildungsansprüche. Im Eitingon-Modell betrifft die Vorstellung des Eintauchens die Ausbildung selbst: die Lehranalyse soll als wichtigster Pfeiler im Zentrum der psychoanalytischen Ausbildung stehen, so auch während der gesamten Arbeit mit Analysanden unter Supervision.

Lassen Sie mich die Entwicklung der beiden von der IPA seit 2007 anerkannten Modelle und ihrer Rahmenbedingungen für die persönliche Analyse des Analytikers in Ausbildung in Erinnerung rufen.

Das Eitingon-Modell war das ursprüngliche, während eines Jahrhunderts zunächst einzige von der IPA anerkannte Ausbildungsmodell. Seit den fünfziger Jahren haben sich die französischen Gesellschaften, die Association Psychanalytique de France, die Société Psychanalytique de Paris sowie später auch die Société Belge de Psychanalyse mit dem Wunsch nach mehr Freiheit in kleinen Schritten vom Eitingon-Modell entfernt. Zu den kleinen Schritten gehörte die Aufhebung der Pflicht von vier oder fünf Wochenstunden für die persönliche Analyse des Kandidaten sowie das Fallenlassen der ausschliesslichen Anerkennung von Ausbildungsanalysen, die von institutionell anerkannten Lehranalytikern durchgeführt worden waren.

Im Eitingon-Modell ist die Lehranalyse wie bereits erwähnt ein wesentlicher integrierter Pfeiler der psychoanalytischen Ausbildung. Sie sollte vorzugsweise eine Weile vor Beginn der theoretischen Ausbildung und Seminarbesuche beginnen. Vom ursprünglichen Reporting-System ist in der British Society aktuell nur noch die Zusage des Lehranalytikers nach frühestens 12 Monaten Analyse gefordert, wenn der Kandidat Zugang zu den theoretischen Seminaren haben möchte.

Der Kandidat, die Kandidatin muss mit dem Lehranalytiker für eine substanzielle Zeit in Analyse sein, die die Supervisionen überlappt. Die persönliche Analyse eines Kandidaten muss minimal viermal pro Woche stattfinden bis zu ihrem Ende.

Zum französischen Modell: Die persönliche Analyse, die ganz oder zu einem grossen Teil vor der Zulassung zur Ausbildung stattfindet, muss – wie bereits erwähnt – nicht von einem Ausbildungsanalytiker ausgeführt werden und als Frequenz werden 3 oder mehr wöchentliche Sitzungen anerkannt. Die Dauer wird ausschliesslich vom analytischen Paar bestimmt.

Shmuel Ehrlich, ehemaliger Chair und später Consultant des Education and Oversight Committees der IPA, machte anlässlich eines Vortrags vor der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse auf ein interessantes Paradox aufmerksam: im Eitingon-Modell versteht sich der Lehranalytiker als mitverantwortlich für die Ausbildung seines Kandidaten – innerhalb des offiziellen Ausbildungsbetriebs wird jedoch über die Lehranalyse des Kandidaten während dessen ganzer Ausbildungsdauer nach Beginn der Seminare nicht mehr gesprochen, sie wird als seine ganz persönliche Angelegenheit betrachtet. Im französischen Modell versteht sich der Analytiker ausschliesslich für die Analyse seines Kandidaten verantwortlich und redet in Belangen der Ausbildung nicht mit – im offiziellen Ausbildungsbetrieb spricht man aber (beispielsweise bei der Zulassung zur Ausbildung) intensiv und ausführlich über die persönliche Analyse des zukünftigen Analytikers.

Als Beispiel: Bei Ausbildungs-Zulassungsgesprächen wird häufig die Frage diskutiert, ob sein Wunsch, Analytiker zu werden, ausreichend analysiert worden und dadurch mehr oder minder frei von determinierenden Identifizierungen und «authentisch» sei.

Die beiden unterschiedlichen Rahmenbedingungen für die Lehranalyse oder persönliche Analyse müssen ihren je eigenen Einfluss auf die Analysen der zukünftigen Analytiker nehmen. Es lohnt sich, darüber zu forschen und nachzudenken. Interessant wäre zum Beispiel, der Frage nachzugehen, in welcher Art und Weise das jeweilige Modell auf die Gegenübertragung des Analytikers und damit möglicherweise indirekt auf den Verlauf der betreffenden Analyse einwirkt.

Ob der Analytiker – wie im Eitingon-Modell – aufkommende Fragen aus den Supervisionen innerhalb der Analyse bearbeitet oder ob die Analyse vor Beginn der Supervisionen abgeschlossen ist, muss einen Einfluss auf die analytische Situation haben. Interessant wäre auch eine Erforschung der Frage, wie Analytiker in den beiden Modellen mit dem Wunsch des Analysanden, Analytiker zu werden, umgehen. Wie erwähnt, soll dieser Wunsch im französischen Modell möglichst analysiert sein, bevor der Analysand die Ausbildung beginnt. Im Eitingon-Modell wird er jedoch erst während der Ausbildung des Analytikers zugänglich, also während seiner Arbeit mit Analysanden. Im Eitingon-Modell kann der Lehranalytiker mit der Vorstellung arbeiten, die Analyse könne im Verlauf der Ausbildung noch vieles an der psychischen Struktur seines Analysanden ändern, während im französischen Modell die Analyse ein psychisches Funktionieren erreichen soll, welches dem Analytiker den Zugang zur Ausbildung erlaubt. Im französischen Modell glaubt man zu Beginn der Ausbildung mehr oder weniger zu wissen, was man mit einem Kandidaten bekommt, während im Eitingon-Modell bei der Zulassung lediglich ein Entwicklungspotenzial erfasst wird. Diese Unterscheidung verleiht der Supervision in beiden Modellen einen unterschiedlichen Stellenwert: Im Eitingon-Modell können auftauchende Schwierigkeiten in der Supervision in die persönliche Analyse des Analytikers in Ausbildung zurückgeschickt werden, im französischen Modell werden sie in der Supervision aufgefangen, was die Supervision der persönlichen Analyse näherrückt.

Wie beeinflussen die Modelle die Gegenübertragung der Analytiker vis-à-vis dem Wunsch ihrer Analysanden, Analytiker zu werden?

Oder: Wie beeinflusst die nach wie vor bestehende Mitverantwortung des Lehranalytikers für die Ausbildung des Kandidaten in der British Psychoanalytical Society, der seine Zusage zum Eintritt in die Seminare für seinen Kandidaten gibt, die Entwicklung der Übertragung? Wie gehen die Eitingon-Lehranalytiker damit um?

Hält die angestrebte «Extraterritorialität» des französischen Modells, was sie verspricht, nämlich völlige Unabhängigkeit der persönlichen Analyse der Analytiker in Ausbildung vom Ausbildungsbetrieb? Existiert diese «Extraterritorialität» in Realität oder entspricht sie eher einer idealen Vorstellung?

Ich möchte mich im Folgenden mit Problemen der institutionellen Einbettung von Ausbildungsanalysen befassen. Ich werde über Probleme sprechen, die vordergründig Lehranalysen des Eitingon-Modells betreffen, gehe jedoch davon aus, dass es auch innerhalb des französischen Modells institutionelle Realitäten gibt, die in Analysen zukünftiger Analytiker hineinspielen. Wie zum Beispiel wenn Analytiker in Ausbildung eine zweite Tranche unternehmen oder in der Variante des französischen Modells der Schweizerischen Gesellschaft, wo zukünftige Analytiker ihre Ausbildung in gewissen Fällen bereits nach einem Jahr nach Beginn der Ausbildung einleiten können und damit während eines Grossteils ihrer Ausbildungszeit in Analyse sind, was eigentlich dem ursprünglichen französischen Modell widerspricht.

In solchen Ausbildungsanalysen sind wir in unserer Gegenübertragung anders herausgefordert als in «gewöhnlichen» Analysen. Zum Beispiel dann, wenn – aus unvermeidbaren bestehenden beruflichen Verbindungen – so viel Realität in den analytischen Raum hereinspielt wie niemals in anderen Analysen.

Wenn wir Kandidaten analysieren, stehen wir vor der Aufgabe, die eindringende Realität in einem andauernden inneren Transformationsprozess in analytisches Material zu verwandeln, um dieses in seiner Bedeutung für die Übertragung zu erfassen. Wir sollten uns zugestehen, wie schwierig es in gewissen Momenten sein kann, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Dann beispielsweise, wenn äussere Schwierigkeiten wie institutionelle Machtkämpfe oder politische Konstellationen an unserem lokalen Institut, in welche wir hineingezogen und vielleicht momentan verstrickt sind, in die Analyse eindringen und affektgeladene Momente auch für uns entstehen, die uns vorübergehend überwältigen können.

Das Problem der eindringenden Realität in Ausbildungsanalysen hat Autoren diverser Schulen und durch alle Zeiten hindurch immer wieder beschäftigt.

So schrieb zum Beispiel Anna Freud zu ihrer Zeit (A. Freud 1970) darüber, wie Lehranalytiker und Ausbildungskandidaten in lebenspraktischen Beziehungen miteinander stehen und der Lehranalytiker dadurch immer mehr als eine nur schattenhafte Figur, ein Spiegel zur Projektion infantiler Konflikte darstelle. Das stelle für die Deutung der Übertragungsphänomene eine besondere Herausforderung dar.

Kandidaten waren oder sind oft oder meistens über die berufliche Orientierung, Lehrmeinungen, theoretische Präferenzen und Familienumstände ihrer Analytiker informiert. Dieses reale Wissen und dessen Bedeutung im unbewussten Kontext zu eruieren stellt den Lehranalytiker vor eine besondere Aufgabe, die ihn in anderen Analysen nicht oder kaum herausfordert.

In der analytischen Bewegung ist immer wieder die Klage aufgetaucht, dass die Analyse der zukünftigen Analytiker ihren therapeutischen Zweck weniger gut erfülle als gewöhnliche Analysen. Anna Freud meinte, dass viele Analytiker an ungelösten infantilen Einstellungen leiden, durch die sie in ihren affektiven Beziehungen zur Umwelt gestört seien oder an unaufgelösten Übertragungsbindungen an ihre Lehranalytiker, die ihre wissenschaftliche Einstellung beeinflussen (A. Freud, 1970).

Die internationalen Diskussionsgruppen des Forums der Europäischen Psychoanalytischen Föderation scheinen mir für die dringend notwendige Diskussion über Ausbildungsanalysen einen besonders geeigneten Rahmen zu bieten. Aus Gründen der Vertraulichkeit können sich Ausbildungsanalytiker über die Ausbildungsanalysen mit ihren lokalen Kollegen nicht austauschen – die meisten Institutsmitglieder kennen die Analytiker in Ausbildung, die auf ihrer Couch liegen. Ich bin der Ansicht, dass die Teilnahme an Intervisionsgruppen oder Seminaren über Ausbildungsanalysen auf internationaler Ebene ein selbstverständlicher Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von Ausbildungsanalytikern sein sollte.

Der Berliner Psychoanalytiker Hermann Beland meint, wir würden Übersetzungsregeln brauchen für das Wiedererkennen der inneren Partialobjektbeziehungen in den realen Gruppen- und Machtprozessen, welche an unseren Instituten eine Rolle spielen und als äussere Realität zeitweise massiv in die Lehranalysen hineindringen können (Beland, 2011).

So könne es beispielsweise vorkommen, dass die Assoziationen manifest die Ausbildungsverhältnisse betreffen und sich dadurch bei Analysand sowie Analytiker ein Druck einstellen kann, die Aussenbeziehungen zur Verleugnung der inneren Beziehungen zu verwenden. Dadurch bleibe der Zugang zu den unbewussten Bedeutungen versperrt.

Beland beschreibt, wie an psychoanalytischen Instituten Konflikte und Schwierigkeiten entstehen können, die ungelösten Übertragungskonflikten aus einzelnen Analysen entstammen und von den entsprechenden Kandidaten ungefiltert mit Mitgliedern des Ausbildungs-Komitees, Seminarleitern oder Supervisoren agiert werden. Erfahrene Lehranalytiker haben ein Wissen davon, dass solche Phasen oft unvermeidbar sind.

Die Erfahrung zeige, dass besondere Schwierigkeiten in den Lehranalysen oft in der Anfangsphase der Seminarbesuche und Supervisionen beginnen. Der Kandidat könne die drohende negative Übertragung abspalten und in Nebenübertragungen auf Exponenten des Instituts, Seminarleiter etc. auslagern. Möglicherweise übertrage der Kandidat auf das Institut ein paranoides und/oder entwertetes Feindbild und agiere womöglich so lange, bis die Ausbildungsgruppe reagiere. Währenddessen herrsche in der Ausbildungsanalyse eine positive Idealisierung und der Kandidat tue alles, um sich der Aufhebung der Spaltung zu widersetzen. Oft sei das keine leichte Aufgabe für den Lehranalytiker, auch wenn er die Situation erkenne. Vor allem dann nicht, wenn seine Kollegen womöglich mit dem Kandidaten mitagieren und sich mit ihm verstricken würden.

Über eine besondere Verstrickungs-Konstellation in Lehranalysen schreibt Michael Balint (Balint, 1954). Wenn an Instituten Machtkämpfe und Konflikte zwischen verschiedenen Schulen und Meinungsvertretern herrschen, könne das Anlass geben, dass der eigene Analytiker in dauernder potenzieller Gefahr erlebt werde, was entsprechende Rettungsphantasien bei seinem Analysanden auslösen könne. Wir alle wissen, welche Anziehungskraft kindliche Rettungsphantasien in Bezug auf die Mutter oder den Vater haben können.

Der Analytiker werde in der Folge idealisiert, während die volle negative Übertragung mit ihrer intensiven Aggressivität und Verachtung gegen seine bösen «Gegner» am Institut gekehrt werde, die in ihrer Kurzsichtigkeit und Dummheit das Idol nicht sehen und anerkennen wollen.

Michael Balint spricht von der notwendigen Zeit, welche zur Entfaltung der negativen Übertragung in Lehranalysen zur Verfügung stehen müsse und betont, wie wichtig es sei, dass die negative Übertragung «nicht zu früh», sondern im richtigen Zeitpunkt zu deuten sei. Während sonst zumeist befürchtet wird, dass die negative Übertragung zu spät gedeutet wird, wenn sie für die Umgebung schädlich geworden sei, spricht er von der entgegengesetzten Gefahr. Werde die negative Übertragung zu früh gedeutet, könne der Patient daran gehindert werden, überhaupt einen richtigen, vollblütigen Hass oder Zorn zu empfinden, da die konsequente Interpretation ihn veranlasse, seine Affekte in kleinen Portionen abzureagieren, sodass nicht mehr als ein Gefühl unbestimmten Ärgers oder Verdrusses übrigbleibe.

Wenn der Hass nicht in seiner vollen Wucht erlebt werden könne, werde er schliesslich durch das Tabu der Idealisierung unterdrückt.

Nehmen wir Balint ernst, müssen wir akzeptieren, dass sich der «vollblütige Hass» von unseren Kandidaten seinen Weg manchmal zunächst über Nebenübertragungen zusammenbraut und sich in die Beziehungen am lokalen Institut ergiesst (d. h. durchaus für die Umgebung schädlich werden kann), um dann erst in der Übertragung in seiner vollen Blüte zugänglich zu werden.

Eine gut funktionierende Lehranalytiker-Gruppe hätte ein Wissen über solche Abläufe und würde sich nicht allzu sehr von Kandidaten verstricken lassen, sondern etwaigem Agierpotenzial gegenüber «Containment» aufbringen, Distanz bewahren und sich nicht in ein Mitagieren verstricken lassen.

Als Lehranalytiker sind wir auf zwei Ebenen herausgefordert: auf derjenigen der individuellen Analysen, die wir mit den Auszubildenden führen und auf derjenigen unserer Zugehörigkeit zur Lehranalytikergruppe, die fähig sein sollte, einen angemessenen Umgang mit dem «Containment» diverser aus Ausbildungsanalysen stammender Nebenübertragungen zu finden.

Lokale Verhältnisse in einer Lehranalytikergruppe nehmen vielfältigen Einfluss auf die laufenden Lehranalysen der Analytiker in Ausbildung. Diese nehmen oft minutiös wahr, in welcher Beziehung ihre Lehranalytiker zu ihren Supervisoren und Seminarleitern stehen. Diese Ausbildner stellen dem werdenden Analytiker kostbare Identifikationsmöglichkeiten zur Verfügung und unterstützen ihn darin, aus der Identifizierung mit seinem Analytiker einen schrittweisen Übergang zur Identifizierung mit der analytischen Funktion zu finden. Diese ist unabhängig vom Lehranalytiker, lässt sich auch bei Supervisoren und Seminarleitern beobachten und stellt insofern ein gewichtiges Element für die Entwicklung zu Autonomie und Reife dar.

Die analytische Funktion muss schlussendlich vom Analytiker als Übertragungsobjekt abgelöst werden. Für die Lehranalyse bedeutet dies einen Verzicht sowohl von Analysand wie auch Analytiker. Die Übertragungsbeziehung in der Lehranalyse kann ganz besondere Schwierigkeiten und Formen annehmen, die hierbei eine entscheidende Rolle spielen. So kann es sein, dass der Analysand eine Phantasie entwickelt, mit welcher er seinen Analytiker zur idealen Elternfigur machen will, die er nie gehabt hat und der Analytiker seinerseits kann phantasieren, aus seinem Analysanden das ideale Kind zu machen, das er nicht gehabt hat. Schwierig kann der Verzichts- und Ablösungsprozess werden, wenn Lehranalytiker beispielsweise in begabten Lehranalysanden «Nachfolger» sehen, die diejenigen Ziele erreichen werden, die sie selbst nicht geschafft haben.

Oder wenn alternde Analytiker oder Kollegen, die in ihrer Laufbahn aufgrund von eigenen Schwierigkeiten nicht das erreicht haben, was sie sich gewünscht haben, versucht sind, begabte Lehranalysanden in Konflikten mit Kollegen oder mit dem Institut zu missbrauchen und durch sie Rache zu üben.

Besonders schwierig können Situationen sein, in welchen Analytiker die Möglichkeiten des Instituts als störende Einmischung empfinden. Es gibt Situationen, in welchen der Analytiker die Weiterentwicklung seines Kandidaten mit anderen «Lehrern» aus diversen Gründen schwer akzeptieren kann. Zum Beispiel wenn er nicht erträgt, dass diese vollkommen andere theoretische Ideen vertreten als er selbst, oder wenn er mit ihnen in einem politischen Machtkampf verstrickt ist etc.

Es wäre zu wünschen, dass die psychoanalytische Aus- und Weiterbildung in Zukunft für alle Kollegen einen Bereich einschliessen würde, der das Verständnis von Gruppen- und institutionellen Prozessen schult und einbezieht. Die erworbene Grundlage könnte – so können wir nur hoffen – der oft schwierigen Dynamik innerhalb unseres institutionellen Lebens etwas entgegensetzen.

Literatur

  • Balint, M. (1954): Analytische Ausbildung und Lehranalyse, in: Psyche, Jg. 7, Heft 11, S. 689-699
  • Beland, H. (2011): Der Lehranalytiker, der gut genug ist, in: Unaushaltbarkeit – Psychoanalytische Aufsätze II zu Theorie, Klinik und Gesellschaft, Giessen, Psychosozial-Verlag, Bibliothek der Psychoanalyse
  • Freud, A. (1970): Probleme der Lehranalyse, in: Psyche, Jg. 24, Heft 8, S. 565-576
Theoretisches Lehren und Lernen  in der psychoanalytischen Ausbildung.
Von Eva Schmid-Gloor (Zürich)

In diesem Text werde ich zuerst auf Diskussionen eingehen, die in den Jahren 2018 und 2019 sowohl in der EPF (Europäische Psychoanalytische Föderation) wie auch in der IPA (Internationale Psychoanalytische Vereinigung) zum theoretischen Teil der psychoanalytischen Ausbildung geführt wurden. Danach werde ich zurückblicken auf die Jahre 1920 bis 1930, auf die Anfänge der theoretischen Ausbildung am Abraham-Institut in Berlin.

In meinen Ausführungen werde ich unter anderem der Frage nachgehen, ob es innerhalb der theoretischen psychoanalytischen Ausbildung damals und heute implizite und/oder explizite Lernziele gab und gibt, und – wenn ja – wie sich diese im Laufe der 100 Jahre verändert haben.

Zu meinen Aufgaben als Vizepräsidentin der EPF gehörte in den Jahren von 2012 bis 2020 die Organisation des alljährlich stattfindenden Forums on Education, eines jährlich stattfindenden Treffens von Lehranalytikern aus allen europäischen psychoanalytischen Gesellschaften. Für 2018 wählten wir, die EPF-Executive, das Thema «Seminar Teaching in Psychoanalytic Training».

Die Wahl erwies sich als problematisch: Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass kaum Literatur zum Thema existiert und dass in der Vergangenheit auch praktisch keine spezifischen Meetings oder Konferenzen dazu – sei es innerhalb der IPA oder EPF – stattgefunden hatten. Es schien, als würden wir uns eines Stiefkinds der psychoanalytischen Ausbildung annehmen. Wir mussten konfrontieren, dass unter Analytikern kaum darüber diskutiert wird, wie in theoretischen Seminaren gelehrt und gelernt wird. Vermutlich lehrt jeder mehr oder weniger so, wie er oder sie es selbst in Seminaren während der eigenen Ausbildung erfahren hat oder entwickelt einen eigenen Stil, der ihm oder ihr für die Vermittlung psychoanalytischen Wissens und Könnens angemessen scheint, ohne gemeinsam mit Kollegen gross darüber nachzudenken.

Glücklicherweise fanden wir in Charlotta Björklind aus Stockholm, unserem EPF-General Editor, eine Kollegin, die sich mit der spärlich existierenden Literatur zum Thema auseinandergesetzt hatte, ihre Gedanken dazu am «Nordischen psychoanalytischen Kongress» im Sommer 2018 vorgestellt hatte und sich nun bereit erklärte, ihre Recherchen und Reflektionen zum Thema am EPF-Forum einzubringen. Ich werde mich in meinen folgenden Ausführungen auf ihren Beitrag beziehen.

Charlotta zeigt sich überrascht, dass sich in den Richtlinien der IPA für die psychoanalytische Ausbildung keine spezifischen Ziele für den theoretischen Teil unserer Ausbildung finden lassen. Die IPA nennt keine Lernziele und definiert kein bestimmtes Wissen oder Fähigkeiten, die in theoretischen Seminaren während der Ausbildung erworben werden sollen. Sie erwähnt in ihren Guidelines lediglich die Themen, die üblicherweise während des mehrjährigen Curriculums abgedeckt, jedoch nicht obligatorisch gelehrt und gelernt werden sollen: psychoanalytische Technik, die psychoanalytische Situation, psychoanalytische Theorie, Psychopathologie, Entwicklungstheorie und klinische Fallseminare.

Geleitet von der Überzeugung, dass Dozenten psychoanalytischer Seminare sich an implizit vorhandenen – eventuell individuell persönlichen – Lernzielen orientieren, lancierte Charlotta eine Pilotstudie, in welcher sie ihre Kollegen, Lehranalytiker und Mitglieder der Schwedischen Psychoanalytischen Vereinigung, mit entsprechenden Fragen konfrontierte.

Sie schlug als Ziele für die Lehrenden drei Kategorien vor:

  1. Vermitteln bestimmter Inhalte.
  2. Vermitteln einer eigenständigen Zugangsweise zu den Inhalten.
  3. Den Lernenden als Identifikationsmöglichkeit zur Verfügung stehen – entstehende Übertragungen entsprechend nutzen können (sich bewusst sein, dass in theoretischen Seminaren während der Ausbildung die Person des Lehrenden für die Lernenden in vielen Fällen bedeutungsvoller wirkt als der vermittelte Inhalt).

Selbstverständlich stehen heutzutage alle Lehrenden der Psychoanalyse angesichts der vielen existierenden diversen Denkschulen vor der Frage, mit welcher Haltung sie diverse Inhalte und Konzepte vermitteln und welche Haltung der Theorienvielfalt gegenüber sie von ihren Studierenden erwarten wollen. Dementsprechend stellen sich Fragen wie:

Sollen in einem Literatur-Seminar die Mainstream-Interpretationen eines Texts zur Kenntnis genommen werden?

Soll der Text in seinem historischen Kontext verortet und seine unterschiedliche Bedeutung innerhalb verschiedener psychoanalytischer Denkschulen erkannt werden?

Sollen die klinischen Implikationen eines bestimmten Texts verstanden werden?

Oder begnügt sich der Dozent damit, dass die Auszubildenden erfassen und übernehmen, wie er oder sie persönlich den Text interpretieren?

Des Weiteren sollten wir uns fragen, wie wir in unsere Überlegungen im Zusammenhang mit theoretischem Lehren und Lernen die Tatsache einbeziehen, dass es sichtlich keine direkte Verbindung gibt zwischen dem, was der Dozent zu lehren annimmt und demjenigen, was der Kandidat tatsächlich lernt. Aus unserer alltäglichen Praxis ist uns diese Tatsache bestens bekannt – aber beziehen wir sie in unsere Überlegungen, wie wir lehren wollen, ein?

Als zentrale, explizite Lernziele wurden von den Teilnehmern von Charlottas Pilotstudie angegeben:

  • Vertiefte Kenntnis der Freud’schen Schriften
  • Aneignung der zentralen Schriften der psychoanalytischen Literatur
  • Die psychoanalytische Ausbildung fördert klinische Fähigkeiten (die theoretischen Seminare sollen in erster Linie diese Fähigkeiten entwickeln helfen und sind als reiner Wissenskanon immer zweitranging)
  • Einen eigenen Weg in der Aneignung von psychoanalytischem Wissen entwickeln.
  • Ein/e Kandidat/in soll sich im ganzen theoretischen Umfeld so orientieren können, dass er/sie dazu kommt, einen eigenen Stil entwickeln zu können.
  • Die Ausbildung sollte den/die Kandidaten/in in eine psychoanalytische Kultur einführen, die es ihm/ihr erlaubt, ideologische Positionen – falls nötig – zu erkennen.

Die grosse Mehrheit der schwedischen Lehranalytiker und Dozenten gab an, die Seminarliteratur ausschliesslich entsprechend persönlichen Interessen zu bestimmen.

Zur Frage, was einen hervorragenden Lehrer für die Psychoanalyse ausmache, antwortete die Mehrheit, das Allerwichtigste sei die klinische Erfahrung eines Dozenten, kombiniert mit spürbar grosser Literatur-Kenntnis. «Meine besten Lehrer waren nicht Pädagogen, sondern denkende Psychoanalytiker», war eine Antwort. Leidenschaft, Interesse und tief empfundene persönliche Bedeutung würden einen guten psychoanalytischen Lehrer ausmachen.

Für zukünftige Diskussionen über theoretisches Lehren und Lernen wurden von den Teilnehmern am EPF-Forum in der Abschluss-Diskussion schlussendlich folgende Themen und Fragen vorgeschlagen:

  1. Was charakterisiert eine optimale Lernsituation in theoretischen psychoanalytischen Seminaren?
  2. In welchem Ausmass können wir das idiosynkratisch oder individuell definieren?

Brauchen unterschiedliche Kandidaten und Kandidatinnen unterschiedliche Lernformen und lehren verschiedene Dozentinnen am besten in individueller Art und Weise?

So viel zu Charlotta Björklinds Beitrag und den Diskussionen im EPF-Forum on Education im Jahr 2018.

Im Weiteren möchte ich – wie bereits angekündigt – sehr kurz über eine Umfrage berichten, welche das Psychoanalytic Education Committee der IPA 2019 unter den Chairs of Training aller IPA-Gesellschaften durchgeführt hat.

Interessant scheinen mir darin folgende Fragen:

  • Wie unterstützen ihre Seminare die Kandidaten und Kandidatinnen darin, ihre eigene Stimme zu entwickeln?
  • Gibt es innerhalb ihrer Lehr-Tradition formelle oder informelle Methoden, um Seminarleiter darin zu unterstützen, bessere Lehrer zu werden?
  • Wie bekommen Seminarleiter Feedback vonseiten der Kandidaten? Existieren zusätzlich zu formalen Evaluationen, die offiziell dem Institut zukommen, informelle Möglichkeiten, Feedback zu Erfahrungen in Seminaren oder mit spezifischen Lehrenden auszutauschen?

Den zahlreichen Antworten auf diese Umfrage ist zu entnehmen, dass in einer aktuellen psychoanalytischen Ausbildung grosser Wert auf die Unterstützung beim Entwickeln einer eigenen analytischen Identität gelegt wird, indem dem eigenen Verständnis klinischen und theoretischen Materials in Seminaren viel Platz eingeräumt wird.

Deutlich tritt der Wunsch zutage, dass Dozierende Möglichkeiten des Austauschs und der Diskussion für die Entwicklung und Verbesserung ihrer Lehrtätigkeit brauchen. Eine entsprechende Feedback-Kultur wird gefordert wie auch spezifische Seminare oder Workshops für Dozierende, die sich auf das theoretische Lehren konzentrieren.

Die meisten Gesellschaften haben breit gefächerte Curricula, die sowohl der Übermittlung von Wissen dienen als auch zur Unterstützung der psychoanalytischen Identitätsbildung der Kandidaten und Kandidatinnen beitragen sollen. Seminarleiter bieten Raum für Diskussion und unterstützen die Kandidaten beim Finden ihres eigenen Wegs.

Mit meinem bisherigen Bericht wollte ich einen Einblick in die aktuelle internationale Diskussion über das theoretische psychoanalytische Lehren und Lernen an den Ausbildungsstätten der IPA vermitteln. Nun möchte ich meinen Fokus auf die Anfänge der psychoanalytischen Ausbildung, 100 und 90 Jahre zurück in die Vergangenheit, wenden. 1930 hat die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft im Internationalen Psychoanalytischen Verlag ein Büchlein herausgegeben, das über «Zehn Jahre Berliner Psychoanalytisches Institut» berichtet.

Das Berliner Institut wurde damals weit über die Grenzen Deutschlands hinaus unter Analytikern als die Zentralstätte für psychoanalytischen Unterricht betrachtet.

Die Texte in diesem Büchlein zeigen, dass erst im Jahr 1927 die Aufstellung eines für die «Ausbildungskandidaten», das heisst für diejenigen Studierenden des Instituts, die eine volle, auch praktisch orientierte psychoanalytische Ausbildung machen wollten, obligatorischen Studienplans beschlossen, der die theoretischen Vorlesungen und Seminare systematisch gliederte.

Franz Alexander nennt den theoretischen Lehrgang das «Mittelstück» der Ausbildung zum psychoanalytischen Therapeuten, dem sich der angehende Psychoanalytiker zuwende, nachdem er durch seine eigene Lehranalyse «jene typischen gefühlsmässigen Widerstände überwunden hat, die die psychoanalytischen Einsichten bei der Mehrzahl der Menschen hervorrufen» (ebenda, S. 54). Als Lernziel gibt er an: «Die Aufgabe des theoretischen Lehrganges besteht darin, den Kandidaten mit den wesentlichsten grundlegenden Erfahrungen und Vorstellungen des psychoanalytischen Lehrgebäudes bekannt zu machen» (ebenda, S. 54). Das Institut habe diesen systematisch durchdachten Lehrplan erst nach einigen Jahren Lehrerfahrung erstellen können. Die Dozenten hatten über lange Zeit daran gezweifelt, ob die Erfahrungsgrundlagen und theoretischen Konzeptionen der damals sehr jungen Wissenschaft schon dazu geeignet waren, «um systematisch, planmässig gelehrt zu werden» (ebda., S. 55). Eine frühzeitige systematische Erstarrung der jungen Wissenschaft sollte sorgfältig vermieden werden. Die wissenschaftlichen Begriffe der neu entstehenden Theorie sollten in einer plastischen Veränderlichkeit und Anpassungsfähigkeit an das schnell heranwachsende und sich erweiternde empirische Material erhalten werden und nicht allzu früh in scholastischer Präzision erstarren.

«So liefen die Interessen der wissenschaftlichen Entwicklung und des Unterrichts zunächst entgegengesetzt» (ebda., S. 55), schreibt Alexander. Trotzdem hätten sich schlussendlich gewisse Grundannahmen und Erkenntnisse an einer derart grossen Fülle von Material bestätigt, dass man von einer in ihren Grundzügen doch exakten einheitlichen Theorie sprechen konnte. «Vor allem die Prinzipien der Traumlehre, des einheitlichsten und gesichertsten Teils der psychoanalytischen Theorie liessen sich auf viele pathologische und normale Seelenvorgänge ausdehnen» (ebda., S. 55), postuliert er. Systematischer Unterricht sei daher möglich und gar im höchsten Mass erforderlich geworden.

Im Lehrgang wurde speziell berücksichtigt, dass das ursprüngliche Gebiet der Psychoanalyse, die Therapie, nur eine Anwendungsmöglichkeit neben vielen anderen sei. Der systematische Unterricht sollte auch für Nachbargebiete wie die Pädagogik, Kriminalistik, Kunsttheorie etc. eine brauchbare Form bereithalten.

Der 1927 entworfene Studienplan wurde im Verlauf der Jahre zahlreichen Veränderungen unterworfen und wird als über Erwarten erfolgreich bezeichnet.

Die analysierten Kandidaten sollten mit seiner Hilfe in der Lage sein, sich innerhalb zweier Jahre die damaligen theoretischen Grundlagen der psychoanalytischen Psychologie und Therapie anzueignen.

Der theoretische Lehrgang bestand aus 6 Quartalen, je 3 in einem Jahr. In jedem Quartal fanden 3 Kurse statt. Der Lehrstoff der nacheinander folgenden Quartale war planmässig nach einer systematischen Entwicklung des damals geltenden Wissensstoffs eingeteilt. Alexander meint, die Einteilung entspreche ungefähr der medizinischen Ausbildung: Zuerst werde dem Kandidaten «eine Art Anatomie und Physiologie des seelischen Apparates geboten. Ein Einführungskursus bringt im ersten Quartal eine psychoanalytische Normalpsychologie, ergänzt durch einen Kursus über Traumdeutung und durch einen über Trieblehre. Im zweiten Quartal werden bereits die Elemente der Psychopathologie behandelt (Allgemeine Neurosenlehre). Das dritte Quartal bringt die speziellen Kenntnisse der Neurosenlehre, zunächst jene Gebiete, auf denen die Psychoanalyse ihre ersten und wichtigsten Erfahrungen erwarb und heute noch erwirbt: die Hysterie, die Phobie und die Zwangsneurose. Das zweite Jahr beginnt in dem ersten Quartal mit den neueren Anwendungen der Psychoanalyse auf dem Gebiete der Psychopathologie, mit der Darstellung der Charakterstörungen, der Kriminalität und der Psychosen. Bereits in diesem Quartal setzt die systematische Darstellung der psychoanalytischen Behandlungstechnik ein. Dieser Kurs wird in dem zweiten Quartal fortgesetzt. In jedem Quartal werden von Anfang an in der Form von Seminaren die grundlegenden und dem Lehrstoff des jeweiligen Quartals entsprechenden Schriften von Freud behandelt.

… Während das erste Jahr hauptsächlich die empirischen Grundlagen der analytischen Therapie bringt, steht das zweite Jahr ausgesprochen im Zeichen der Behandlungstechnik» (ebda., S. 57).

Interessant scheint mir, dass neben den hauptsächlich therapeutisch orientierten Kursen obligatorisch ebenfalls 3 Kurse im Lehrplan fungierten, die mehr geisteswissenschaftlich orientiert waren, z. B. über die Anwendung der Psychoanalyse auf Literatur und Kunst, über psychoanalytische Ethnologie und Massenpsychologie oder über Deutungskunst und Symbolik.

Im Verlauf der Jahre wurden von unterschiedlichsten Dozenten diverse Vorträge über Psychoanalyse und Soziologie, Recht und Kriminalistik, Philosophie, Religion und Erziehung gehalten, die auch – im Sinne von Öffnung und Austausch – für ein breiteres Publikum zugänglich waren.

Alexander und offensichtlich auch die Mehrheit seiner Kollegen vertraten die Meinung, dass Kandidaten, die über eine gewisse geisteswissenschaftliche Bildung verfügten, für das Verständnis unbewusster Seelenvorgänge den rein medizinisch naturwissenschaftlich vorgebildeten Kandidaten meistens weit überlegen seien. Die Einfühlung ins Seelenleben eines Anderen liege dem literarisch und geisteswissenschaftlich gebildeten Menschen näher als dem medizinisch geschulten. Andererseits sahen die Pioniere der psychoanalytischen Ausbildung auch eine grosse Herausforderung der Zukunft darin, die Zusammenarbeit und den Austausch mit der Medizin zu intensivieren. Der Therapeut der Zukunft sollte ein sowohl biologisch-medizinisch wie psychoanalytisch gleichwertig geschulter Arzt sein.

Das Bestreben in der Ausbildung medizinisch vorgebildeter Kandidatinnen und Kandidaten bestand darin

  1. «den meistens fehlenden Sinn für Psychologie zu entwickeln,
  2. den Kandidaten möglichst eingehend mit den grundlegenden Schriften von Freud bekannt zu machen, und
  3. die feststehenden Grundlagen der psychoanalytischen Erfahrungssätze und des Begriffssystems in einer klaren einheitlichen, dem heutigen Stand unserer Wissenschaft entsprechenden, aber in einer möglichst wenig starren, die Weiterentwicklung ermöglichenden Form zu vermitteln» (ebda., S. 58).

Soviel zum Lehrbetrieb am Abraham-Institut zwischen 1920 und 1930.

Vergleichen wir den Lehrplan von damals mit unseren heutigen Studiengängen, können wir uns über die Unterschiede bezüglich Lernzielen nicht genügend wundern – waren die damaligen Dozenten erleichtert, nach langem Ringen endlich von einer «exakten, einheitlichen Theorie» sprechen und diese vermitteln zu können, sind heutige Dozenten gefordert, ihren Auszubildenden dabei zu helfen, sich einen eigenen Weg durch das Dickicht unterschiedlichster Denkschulen und theoretischer Vielfalt zu bahnen und dabei einen eigenen Stil zu entwickeln.

Interessant berührt allerdings die Vorsicht, mit welcher unsere damaligen Kollegen ihre gesicherten Konzepte vermitteln und – vor allem eine allzu frühe scholastische Präzision und damit Erstarrung des jungen Wissens fürchtend – Raum für die Weiterentwicklung der Theorie entsprechend neuer und erweiterter klinischer Erfahrung lassen wollten.

Vielleicht könnte man sagen, was damals der Respekt vor zukünftig sich weiter entwickelndem Wissen ausmachte, kann uns heute eher als Respekt vor vielfältigen und unterschiedlichen theoretischen Positionen entgegentreten?

Zudem sollte uns nachdenklich stimmen, wie sehr im obligatorischen zweijährigen Lehrgang von damals nicht nur die Psychoanalyse als klinische Theorie, sondern auch in ihrer Qualität als Kulturtheorie vertreten wurde. So sprachen z. B. 1925 Alexander und Müller-Braunschweig über «Die Stellung der Psychoanalyse in den Wissenschaften und in der Kultur» und Sachs, wie später auch Harnik und Reik, hielten diverse Seminare über die Anwendung der Psychoanalyse auf Werke der Literatur und Kunst. Kulturtheoretische Aspekte, die innerhalb der aktuellen psychoanalytischen Basisausbildung heutzutage angesichts dominanter klinischer Ausrichtung nur sehr spärlich vertreten sind.

Ein weiterer auffallender Unterschied betrifft die Frage obligatorischer Lernziele: Während die Inhalte des damaligen zweijährigen theoretischen Lehrgangs obligatorisch gelernt werden mussten, herrscht heute bezüglich Inhalten kein von der IPA vorgeschriebenes Obligatorium.

Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich als letzten Unterschied zwischen dem Lehrbetrieb vor 100 Jahren und heute noch die aktuell vielfach geforderte und gepriesene Feedback-Kultur erwähnen: Kein Mensch hat wohl in den Jahren 1920 bis 1930 von Feedback der damaligen Kandidaten gegenüber den Dozenten gesprochen.

Vielleicht – so denke ich manchmal – werden heute an psychoanalytischen Instituten hin und wieder relativ unkritisch Feedback-Gepflogenheiten aus Wirtschaft und üblichem Wissenschaftsbetrieb übernommen. Möglicherweise nicht zuletzt deshalb, weil entsprechende Anforderungen von aussen an uns herangetragen werden, denen wir uns nicht entziehen können. Trotzdem frage ich mich, ob es nicht sinnvoll wäre, solche Tendenzen unter Lehrenden gemeinsam vertiefend zu diskutieren und dabei all unser psychoanalytisches Wissen und Bewusstsein der Existenz komplexer Übertragungsbeziehungen innerhalb der psychoanalytischen Ausbildung einzubeziehen. Eine Ausbildung, die nach wie vor von Besonderheiten geprägt ist, die sie von allen anderen akademischen Ausbildungen unterscheidet.

Literatur

  • Müller-Braunschweig, Carl (1930): Historische Übersicht über das Lehrwesen, seine Organisation und Verwaltung, in: Rado, S., Fenichel, O. und Müller-Braunschweig, C.: Zehn Jahre Berliner Psychoanalytisches Institut (S. 20-39), Wien, Internationaler Psychoanalytischer Verlag.
  • Alexander, Franz (1930): Der theoretische Lehrgang, in: Rado, S., Fenichel, O. und Müller-Braunschweig, C.: Zehn Jahre Psychoanalytisches Institut (S. 54-58), Wien, Internationaler Psychoanalytischer Verlag.
  • Björklind, Charlotta (2018): «Aims of teaching in the theoretical seminars», nicht publizierter Beitrag an der Nordischen psychoanalytischen Konferenz 2018 und am Forum on Education der EPF 2018 in Brüssel.

Struktur des Rahmenplans

Der nachfolgende Rahmenplan für die Ausbildung in Psychoanalyse SGPsa ist ein Instrument, das Angebot der Lehrveranstaltungen des Freud-Instituts Zürich zu gliedern und den Ausbildungsteilnehmenden eine Leitlinie für den Aufbau ihrer theoretischen Ausbildung anzubieten. Er ist im Sommer / Herbst 2018 von den Ausbildungsverantwortlichen des Freud-Instituts Zürich erarbeitet worden.

1.1. Flexibilität

Die Teilnehmenden des Instituts sind berufstätig, deshalb kann die Ausbildung zeitlich flexibel absolviert werden. Das Angebot des Instituts ist so gestaltet, dass die einzelnen Teile nach eigenem Zeitplan von den Teilnehmenden gewählt werden können.

1.2. Didaktik

Die Psychoanalyse hat im Verlauf ihrer Entwicklung sowohl in ihrer Theorie als auch in ihrer klinischen Praxis den Nachweis wissenschaftlich robuster Erkenntnisse erbracht. Sie befindet sich in einem permanenten Überarbeitungsprozess. Deshalb sind die Seminare, die von den Dozierenden geleitet werden, auch geprägt von ihren jeweiligen theoretischen Präferenzen und von ihrer Persönlichkeit. Auch die didaktische Durchführung der Seminare variiert je nach Dozentin oder Dozent.

1.3. Selbstudium

Primär sind Eigeninitiative und Selbststudium der Teilnehmenden als integraler Bestandteil der Ausbildung gefordert. Dazu gehört die intensive autodidaktische Lektüre.

1.4. Anfoderungen

Im Rahmenplan werden lediglich Minimalanforderungen formuliert, um einen der Psychoanalyse angemessenen Lernprozess anzustossen, in Gang zu halten und zu begleiten. Weitere Informationen finden sich in den Ausbildungsrichtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse (SGPsa) und unter www.psychoanalyse.ch.

Ausbildungsprogramm

2.1. Leitgedanken

Das Freud-Institut Zürich steht in einer langen, lebendigen psychoanalytischen Tradition. Es legt grossen Wert auf eine fundierte klinische Ausbildung der angehenden Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker, pflegt einen regen Austausch mit der internationalen psychoanalytischen Community und fördert die Beziehungen zu den psychiatrischen, akademisch-psychologischen und universitären Institutionen.

2.2. Programm in Themeneinheiten

Das Programm gliedert sich in Themeneinheiten. Sie enthalten Wissen über die Kerngebiete der Psychoanalyse.

2.3. Gewichtung der Themenbereiche

Alle Themeneinheiten werden gleich gewichtet. Es wird empfohlen, sie im Verlauf der Ausbildung zu besuchen oder im Selbststudium zu erarbeiten.

2.4. Einheiten

Jede Einheit umfasst ein- bis mehrjährige Veranstaltungen, die in Zeiteinheiten von 45 Minuten durchgeführt werden. Ausserdem gibt es Blockseminare.

2.5. Zulassungsbestimmungen

Für bestimmte Einheiten gibt es Zulassungsbestimmungen: Für die Teilnahme am Seminar «Abklärungsstelle für Psychoanalysen und Psychotherapien des Freud-Instituts Zürich» wird der Besuch eines Seminars zur «Interviewtechnik und Indikationsstellung» vorausgesetzt. Technische Seminare können nur von Kandidatinnen und Kandidaten besucht werden.

2.6. Ausbildungsjahr

Die in einem Ausbildungsjahr angekündigten Veranstaltungen enthalten einen Verweis auf die Themeneinheit, welcher sie zugeordnet sind:

Einheiten

Einheit

1

Lektüre Freud’scher Schriften

Einheit

2

Erstinterview und Indikation

Einheit

3

Technisches Seminar und Technische Schriften

Einheit

4

Psychoanalytische Modelle und Konzepte. Umgang mit Theorien. Geschichte und Überblick

Einheit

5

Entwicklungstheorien

Einheit

6

Traumtheorien und Trauminterpretation, Tagtraum, Phantasie

Einheit

7

Störungsformen (neurotische und nicht-neurotische)

Einheit

8

Modelle des psychoanalytischen Prozesses

Einheit

9

Aktuelle Strömungen in der Psychoanalyse (Technik und Theorie)

Einheit

10

Fallkonzeptualisierung, Schreiben von Fallberichten und wissenschaftlichen Arbeiten

Einheit

11

Angewandte Psychoanalyse

Einheit

12

Kinderanalyse

Einheit

13

Ethische Aspekte der psychoanalytischen Praxis (angewandte Berufsethik, Fehlerkultur, Umgang mit Nebenwirkungen)

Einheit

14

Psychoanalyse und aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen



Kontakt und Anmeldung

Kontakt

Für Fragen zur Ausbildung in Psychoanalyse SGPsa / IPA stehen Ihnen die Zürcher Mitglieder der Regionalen Unterrichtskommission (RUK) und der FIZ-Vorstand zur Verfügung.

Anmeldefrist für die Seminare

30. September (Ausnahmen auf Anfrage)

Anmeldungen und Gebühren


Downloads: Broschüren, Flyer und weitere Informationen

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